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Rechtsradikale Mobilisierungsversuche im Betrieb bekämpfen, betriebliche Demokratie stärken

Im Gespräch mit Lukas Hezel aus Baden-Württemberg

Die politische extreme Rechte hat in den letzten Jahren den Betrieb wieder vermehrt als Kampffeld für sich entdeckt und versucht sich dort als Alternative zu den etablierten Gewerkschaften aufzustellen. Viele Sorgen und Nöte, die Menschen haben, hängen unmittelbar mit der Arbeitswelt zusammen – kein Wunder also, dass Rechtsradikale hier einen guten Nährboden wittern, ihre Erklärungsangebote und vermeintlichen Lösungsansätze zu verbreiten.

Unsere 34 Projekte im Bundesprogramm Initiative betriebliche Demokratiekompetenz arbeiten mit unterschiedlichen Ansätzen der aufsuchenden Arbeit in den Betrieben. Das Projekt „Betriebliche Demokratie stärken – Rassismus und Rechtsextremismus im Betrieb bekämpfen“ vom DGB Bildungswerk Baden-Württemberg verfolgt u.a. den Ansatz gezielt in Betrieben zu intervenieren, in denen es rechtradikale Mobilisierungsversuche gibt. Anlässlich eines Projektbesuchs unseres DGB-Koordinierungsprojektes in Stuttgart, führte unser Praktikant Max Leurle ein Interview mit Projektmitarbeiter Lukas Hezel, um diese betriebliche Interventionsarbeit näher zu beleuchten.

Hallo Lukas, ihr seid Teil des Förderprogramms „Unsere Arbeit: Unsere Vielfalt. Initiative für betriebliche Demokratiekompetenz“ und wollt mit eurem Projekt betriebliche Demokratie stärken. Wie macht ihr das und wen sprecht ihr mit eurem Projekt an?

Wir arbeiten in unserem Projekt mit einem Ansatz, der auf die Leipziger Autoritarismus-Studie von 2020 zurückgeht. Die Ergebnisse der Studie haben gezeigt, dass Beschäftigte, die an ihrem Arbeitsplatz Erfahrungen von Beteiligung, Solidarität und Anerkennung machen, eine deutlich positivere Einstellung zur Demokratie haben und weniger bereit sind, diskriminierende und rechtsextreme Einstellungen zu übernehmen. Als gewerkschaftlicher Träger haben wir ein vertieftes Verständnis von betrieblichen Beteiligungs- und Mitbestimmungsprozessen im Betrieb und können dieses in die Entwicklung unserer Ansätze einfließen lassen.

Welche Herausforderungen und Bedingungen hat demokratisches Handeln im Betrieb?

Für uns ist wichtig, betriebliche Demokratie immer vom Interessengegensatz ausgehend zu denken. Unternehmen verfolgen zunächst wirtschaftliche Interessen, daher werden unternehmerische Entscheidungen in der Regel nicht demokratisch, sondern nach ökonomischen Kriterien getroffen. In betrieblichen Gremien haben die Beschäftigten die Möglichkeit, ihre Interessen bezüglich ihrer Arbeitsbedingungen ebenfalls einzubringen und zu vertreten. Die Interessenvertretung der Beschäftigten funktioniert dann besonders gut, wenn sich betrieblichen Gremien an den oben schon genannten Prinzipien von Beteiligung, Solidarität und Anerkennung orientieren.

Wie werden diese Prinzipien konkret umgesetzt?

Beteiligung heißt für uns, dass zum Beispiel der Betriebsrat seine Arbeit nicht im Hinterzimmer macht, sondern die Beschäftigten immer so aktiv wie möglich mit einbeziehen sollte.

Solidarität bedeutet, dass die Beschäftigten sich nicht spalten lassen dürfen, weil sonst die innerbetriebliche Demokratie geschwächt wird. Für eine starke Mitbestimmung der Belegschaft müssen möglichst alle Beschäftigten an einem Strang ziehen, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund, egal ob hetero, homo oder was auch immer.

Anerkennung bedeutet für uns, dass jede*r Mensch im Betrieb mit ihrer*seinem jeweiligen Problem ernst genommen und gehört wird, egal ob migrantische Putzkraft oder deutschstämmiger Facharbeiter. Nur wenn die betrieblichen Akteure, Betriebsräte und Gewerkschafter*innen ein offenes Ohr für alle haben und den Leuten zuhören, können diese ihre Interessen auch vertreten und sie erfolgreich in Auseinandersetzungen mit einbeziehen. Das ist ein Baustein für lebendige Demokratie im Betrieb.

In euren Projekttitel werden betriebliche Demokratie und Rechtsextremismus verknüpft. Warum? Inwiefern hängen betriebliche Demokratie und Rechtsextremismus zusammen?

Leider hat auch die extreme Rechte den Betrieb in den letzten Jahren wieder mehr und mehr als politisches Kampffeld für sich entdeckt. Dort verbringen die meisten Menschen einen Großteil ihrer Lebenszeit. Viele Sorgen, Nöte und Ängste haben unmittelbar mit der Arbeitswelt zu tun, sei es, dass der Lohn nicht zum Leben reicht, dass die Arbeitsbelastung krank macht oder dass Menschen Angst haben müssen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Um es kurz zu machen: an kaum einem anderen Ort erleben die Menschen gesellschaftliche Konflikte unmittelbarer als am Arbeitsplatz. Die Erfahrungen von Ohnmacht, abgehängt Sein und drohendem sozialem Abstieg, die viele Menschen bei der Arbeit tagtäglich machen, sind der perfekte Nährboden für die Pseudo-Erklärungsangebote rechtsextremer Rattenfänger. Es ist also kein Zufall, dass wir den gesellschaftlichen Rechtsruck auch in den Betrieben mehr und mehr zu spüren bekommen.

Woran spürt ihr das? Wie zeigt sich dieser Rechtsruck im Betrieb?

Hier in Baden-Württemberg gibt es zum Beispiel mit dem Verein „Zentrum Automobil“ schon seit über zehn Jahren eine Pseudo-Gewerkschaft, die von einer stramm rechten Kerntruppe aus der Rechtsrock- und Neonaziszene aufgebaut wurde. Heute arbeitet dieser Verein eng mit der AfD zusammen. Während der Coronapandemie haben sich außerdem viele Menschen im Zuge der „Querdenker“-Bewegung radikalisiert und sind politisch tendenziell nach rechts gerückt. Auch das merken wir in den Betrieben, insbesondere im Pflege- und Sozialbereich. Die oft berechtigte Unzufriedenheit und Empörung wird durch absurde Verschwörungstheorien auf irgendwelche Sündenböcke umgelenkt, anstatt sich für wirkliche Verbesserungen einzusetzen, wie es zum Beispiel erst kürzlich die ver.di Kolleg*innen während der Streikbewegung an den Krankenhäusern in NRW vorgemacht haben. Der Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus lässt sich aus unserer Sicht nicht vom Vorhandensein einer starken betrieblichen Demokratie und der Möglichkeit zum Mitgestalten der eigenen Arbeitswelt trennen.

Wie sieht euer Ansatz konkret in der Praxis aus?

Wir sehen unsere Hauptaufgabe darin, Betriebsräte, JAVen, Vertrauensleute und generell Beschäftigten direkt vor Ort in den betroffenen Betrieben zu unterstützen. Das setzt erstmal eine Menge Recherchearbeit voraus, da sich die Rechten oft nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen geben. Sie versuchen häufig als scheinbar harmlose „Alternative“ zu den „etablierten Gewerkschaften“ unter dem Radar zu fliegen. Wir beobachten diese Entwicklungen sehr genau, um rechtzeitig intervenieren zu können.

In einem ersten Schritt versuchen wir die Belegschaften so breit wie möglich zu sensibilisieren, um so der Selbstverharmlosungsstrategie der Rechten entgegenzuwirken. Alle Menschen im Betrieb sollen wissen, mit wem sie es zu tun haben. Das schrumpft den Pool der von rechts ansprechbaren Mitarbeitenden zumindest schonmal um die, die vielleicht einfach nur aus Naivität und Unwissenheit mitgemacht hätten.  Damit ist es aber natürlich nicht getan. In der Regel betreuen wir die betroffenen Betriebe über einen längeren Zeitraum hinweg und versuchen gemeinsam mit den Beschäftigten an der Basis eine langfristige praktische Gegenstrategie zu entwickeln. Im Mittelpunkt steht dabei immer der Ansatz, nicht nur klare Kante gegen Rechtsradikalismus zu zeigen, sondern auch eine dauerhafte Grundlage für Erfahrungen von Beteiligung, Solidarität und Anerkennung, gemeinsam mit den Kolleg*innen zu schaffen.

Wie kann man euch bei Interesse erreichen? Wie kann man euch unterstützen oder Unterstützung bekommen?

Als Projekt arbeiten wir branchenübergreifend, das heißt dass alle Beschäftigten, und konkreter auch Betriebsräte und DGB-Gewerkschaften auf unsere Unterstützung zurückgreifen können. Es ist also egal, ob es um einen Fall bei der Bahn, in einem Krankenhaus oder einem großen Industrieunternehmen geht. Sowohl Beschäftigte im Betrieb oder Unternehmen als auch zuständige Gewerkschaftssekretär*innen können uns jederzeit unkompliziert kontaktieren. Am liebsten kommen wir direkt in den Betrieb, um uns vor Ort selbst ein Bild machen zu können.

Als regionales Projekt sind wir eigentlich nur für Baden-Württemberg zuständig, teilen unsere Erfahrungen aber gerne auch mit Kolleg*innen aus anderen Bundesländern. Umgekehrt sind wir natürlich auch immer dankbar für nützliche Hinweise und Recherchetipps.


Das Gespräch führte Max Leurle, der im „Koordinierungsprojekt Initiative betriebliche Demokratiekompetenz“ ein Praktikum absolvierte.