Wie gelingt es, in der Arbeitswelt für Demokratie und gegen rassistische und rechtsextreme Hetze und Strukturen einzustehen: Darüber diskutierten wir am 5. Juni in Berlin auf unserem Fachtag. Die Veranstaltung anlässlich der „Halbzeit“ im laufenden Programm Initiative betriebliche Demokratiekompetenz stellte bislang entwickelte Strategien und Erfahrungen der umsetzenden Bildungsträger in den Fokus: Welche Ansätze werden im Programm verfolgt, um Betriebe und Beschäftigte gegen Rassismus und Verschwörungserzählungen aufzustellen? Wie können Kompetenzen für Demokratie und Mitbestimmung im Arbeitsleben gestärkt werden? Mit über 100 Teilnehmenden ermöglichte der Tag einen intensiven Austausch zwischen Kolleg*innen innerhalb und außerhalb der Initiative, Vertreter*innen aus Ministerien, Gewerkschaft, Wissenschaft, Betrieb, Migrant*innenorganisationen, anderen Demokratieförderprogrammen, politischen Bildner*innen und weiteren (betrieblichen) Bildungsprojekten.
In ihrem Grußwort betonte Dr. Gunilla Fincke (Abteilungsleitung Bundesministerium für Arbeit und Soziales): Demokratie(n) und eine diskriminierungsfreie Gesellschaft seien durch Rassist*innen und Verfechter autoritärer Staatsformen bedroht – aber auch durch Gleichgültigkeit und Personen, die nicht bereit seien, auf Distanz zu Demokratiefeindlichkeit oder Rassismus zu gehen, und klar Haltung zu beziehen, spielten eine Rolle. Dr. Fincke betonte daher: Engagement und Einsatz für Demokratie eines jeden seien wichtig, jeder Schritt, jede*r Unternehmer*in und jede Belegschaft, die selbst aktiv wird und sich für Integration stark macht und gegen Ausgrenzung wendet, fördere demokratischen Zusammenhalt. Dr. Fincke verwies auch auf die grundlegende Bedeutung einer offenen und demokratischen Gesellschaft, um attraktiv für die so dringend benötigte Fachkräfteeinwanderung zu werden. Auch aus diesem Grund seien Programme wie die heute im Mittelpunkt stehende Initiative betriebliche Demokratiekompetenz so wichtig – die Initiative trage dazu bei, ein einladendes Land mit einer Arbeitswelt frei von Diskriminierung und Vorurteilen zu schaffen.
Anja Piel, Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds, erinnerte in ihrem Grußwort an rechte Gewalttaten, vor deren Hintergrund die Einrichtung des Programms steht: Der rassistische Anschlag in Hanau 2020, der Anschlag in Halle 2019, die rechtsextremen Mordserie des NSU oder der Brandanschlag in Solingen vor 30 Jahren zeige die Kontinuität rechter Gewalt in Deutschland. Programme politischer Bildung werden gebraucht, betonte Piel – nicht nur im Sinne einer „Feuerwehrpolitik“ nach immer wiederkehrenden rassistisch und rechts motivierten Taten, sondern stetig, präventiv und mit verlässlicher Finanzierung. Hierfür mit einem Programm wie der Initiative betriebliche Demokratiekompetenz spezifisch am Arbeitsplatz anzusetzen, böte viel Potential: Gleichberechtigtes und kollegiales Zusammenarbeiten diverser Belegschaften in Betrieben könne eine Schlüsselerfahrung für gegenseitigen Respekt sein und Demokratie im Arbeitsalltag erfahrbar machen. Gleichsam könnten schlechte Arbeitsbedingungen, Isolation und Fremdbestimmung aber auch zur Ausbildung von antidemokratischen Haltungen beitragen: Hier gelte es das demokratische Potential am Arbeitsplatz zu nutzen.
Als Vertreterin der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen hob Marianne Ballé-Moudoumbou in ihrer Keynote Aspekte hervor, welchen beim Engagement gegen Rassismus (in der Arbeitswelt) besonders viel Aufmerksamkeit gewidmet werden sollten. Migrant*innen und rassifizierte Menschen sollten zudem in Debatte und Maßnahmen nicht wie so häufig als passive „Betroffene“– sondern viel mehr als aktive Gestalter*innen einer gerechten Gesellschaft eingebunden sein. Ein intersektionaler Ansatz sei bei der Bekämpfung von Rassismus außerdem immens wichtig (mehr Infos zur Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen hier).
Wie Demokratieförderung und Sensibilisierung für Rassismus und Rechtsextremismus in Belegschaften in der Initiative betriebliche Demokratieförderung konkret aussieht: Diesen Einblick gewährten drei exemplarische „Projektpitches“ durch Vertreter*innen im Programm umgesetzter Projekte: Anjalika Bhaskar-Sawahn, „Zusammen anders“- beramí; Lukas Hezel, „Betriebliche Demokratie stärken“ – DGB Bildungswerk Baden-Württemberg und Sara Holzner, „Zuhören. Verstehen. Handeln.“ – Bildungswerk der Thüringer Wirtschaft.
Auf dem Panel, dem zentralen Programmpunkt am Vormittag, diskutierten Dr. Gunilla Fincke (BMAS), Anja Piel (DGB), Dr. Johannes Kiess (Universität Leipzig), Marianne Ballé-Moudoumbou (Bundeskonferenz Migrantenorganisationen) und Kathi Max (Einrichtungsleitung Pflegeeinrichtung der Diakonie). Dr. Fincke ordnete aus Perspektive des fördermittelgebenden Ministeriums ein: Die Initiative betriebliche Demokratiekompetenz adressiere auch daher explizit die Arbeitswelt, da sich für Beschäftigte aktuell starke Umbrüche bemerkbar machten. Diese reichten vom Ausstieg aus der Kohle bis zur Digitalisierung; teilweise Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Homeoffice während andere Berufsgruppen weiterhin nur strikt vor Ort im Betrieb tätig sein könnten. All diese Transformationen böten Konfliktpotential zwischen verschiedensten (Beschäftigten-)Gruppen. Es besteht ein hoher Bedarf an der Entwicklung von übertragbaren Modellen bis Ende 2024, insbesondere da auf Grund der schwierigen Haushaltslage für eine direkte Verlängerung des Programms voraussichtlich keine Mittel zur Verfügung stehen werden. Eine Integration erfolgreicher Ansätze in andere Programme wird angestrebt.
Dr. Kiess knüpfte hier mit Forschungsergebnissen der Leipziger Autoritarismus-Studie an, wonach bei der Ausprägung (anti-)demokratischer Einstellungen die Faktoren (mangelnde) „Anerkennung“ und „Beteiligung“ eine wichtige Rolle spielten. Um rassistischen Einstellungen etwas entgegensetzen, reichten daher die Umsetzung von Workshops etwa zu Diversitätskompetenzen oder Sensibilisierung für Rassismus allein nicht aus, sondern es müsse auch bei Arbeitsbedingungen angesetzt werden. Hierbei sei essenziell, dass Beschäftigte Erfahrungen der Beteiligung, Mitgestaltung und Anerkennung im Betrieb machen könnten.
Kathi Max, Leiterin einer Seniorenpflege-Einrichtung teilte Erfahrungen aus Sicht eines an Bildungsangeboten des Programms teilnehmenden Betriebs. Mit mehreren neu eingestellten Beschäftigten aus der Ukraine, Vietnam und Afghanistan habe sich ihre Belegschaft in kürzerer Zeit rasch verändert. Um möglichen Konflikten in der Belegschaft, etwa erwachsend aus Unsicherheiten, Vorbehalten oder Sprachproblemen, zuvorzukommen, habe ihr Betrieb daher Angebote im Bereich Kommunikation, Teamzusammenhalt und Diversitätskompetenzen wahrgenommen. Marianne Ballé-Moudoumbou wies in diesem Zusammenhang darauf hin: Rassismus dürfe nicht nur verkürzt im Zusammenhang mit Migration diskutiert werden – Rassismus existiere auch unabhängig von jüngerer Zuwanderung und betreffe auch Menschen ohne eigene Migrationsgeschichte. Anja Piel machte sich zum Abschluss des Podiums für eine verlässliche staatliche Förderung von politischer Bildung und Programmen zur Begegnung von antidemokratischen Einstellungen stark. Eine staatliche Förderung der Initiative betriebliche Demokratiekompetenz nach 2024 sei aktuell nicht zugesichert- die Bekämpfung von Rassismus dürfe aber nicht von aktueller Kassenlage abhängig sein.
Dr. Johannes Kiess präsentierte nach einer Mittags- und Netzwerkpause die Ergebnisse der Leipziger Autoritarismus -Studie 2022 und beleuchtete auch Studien-Erkenntnisse zu „Konfliktwahrnehmungsmustern abhängig Beschäftigter (mehr zu den zentralen Ergebnissen hier).
Nach einer intensiven ersten Hälfte des Fachtags ging es anschließend in eine Arbeitsphase mit vier parallel stattfindenden Workshops. Angeleitet durch Bildungsreferent*innen aus den geförderten Projekten in der Initiative betriebliche Demokratiekompetenz standen hier die Praxiserfahrungen der Demokratieförderung in Betrieben und Berufsschulen im Zentrum:
- Die Workshopleiterinnen Lucie Werndl und Leonore Grottker (Qualifizierungsförderwerk Chemie) diskutierten mit Teilnehmer*innen zu „Branchenspezifische Herausforderungen durch Transformationsprozesse“ bei der Bekämpfung anti-demokratischer Haltungen in der Arbeitswelt.
- Tanja Berg (Minor Projektkontor für Bildung und Forschung) und die Workshopteilnehmer*innen arbeiteten zu Regionen-spezifischen Charakteristika bei der Förderung von Demokratiekompetenzen und Engagement gegen Rassismus in der Arbeitswelt
- Matthias Monecke (Verein zu Bewahrung der Demokratie) und Inputgeber Lukas Hezel (DGB-Bildungswerk Baden-Württemberg) arbeiteten mit den Workshopteilnehmenden zur Frage inwiefern extrem rechte Akteure Arbeitswelt und Betrieb als Agitationsfeld nutzen – speziell mit Blick auf Baden-Württemberg.
- Oliver Preuss (DGB Bildungswerk Thüringen) und Inputgeber Prof. Dr. Matthias Quent diskutierten mit den Workshopteilnehmer*innen Einflüsse aktueller Krisen wie Pandemie, Energiekrise und russischer Angriffskrieg auf die Entwicklung von Verschwörungsmythen und Rassismus und wie Bildungs- und Projektarbeit dem im betrieblichen Kontext begegnen kann.
Wir möchten uns herzlich bei allen Referent*innen, Teilnehmer*innen und Workshop-Moderator*innen für die inspirierenden Beiträge und Diskussionen bedanken! Ein besonderer Dank gebührt den im Förderprogramm tätigen Kolleg*innen, die ihre Erfahrungen, Erkenntnisse und Herausforderungen aus ihrer praktischen Arbeit mit Betrieben und Berufsschulen offen und mit Engagement mit den anwesenden Tagungsgästen geteilt haben.
Die zahlreichen Anregungen und Gedankenanstöße aus dem Austausch mit so vielen klugen Menschen aus Bildungsarbeit, Wissenschaft, Betrieb, Gewerkschaft und Politik nehmen wir als Initiative in die Arbeit in der zweiten Programmhälfte mit.
Anlage – Programm des Fachtags