…und doch geht es im Jahr 2025 weiter.
Mit eindrücklichen, nachdenklich stimmenden, aber auch Mut machenden Berichten, Diskussionen und Liedern geht der Förderzeitraum 2021-2024 des Programms Betriebliche Demokratiekompetenz zu Ende: Rund 80 Teilnehmende kamen am 14. November 2024 in Chemnitz zur Fachtagung zusammen, um Ergebnisse aus vier Jahren Bildung und Beratung gegen Rassismus und Rechtsextremismus in der Arbeitswelt zu diskutieren. Die herausfordernde Arbeit der Projektmitarbeiter*innen und engagierter Belegschaften wurde gewürdigt. Zum Ende des regulären vierjährigen Förderzeitraums gab es die gute Nachricht, dass in 2025 rund die Hälfte der bisherigen Projekte des Netzwerks für ein weiteres Jahr fortgeführt werden kann.
Auftakt mit Musik vom Antifaschistischen Chor Pir-Moll und Grußwort des Gastgebers
Pir-Moll ist ein Chor Engagierter aus Pirna, der seit 2017 Lieder aus der Zeit des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, antirassistische Lieder, antifaschistische jiddische Lieder, Lieder aus Revolutionen und feministische Lieder singt. Gesang und Gitarrenbegleitung gingen vielen Tagungsgäste nahe und hinterließen bleibenden Eindruck.
Klaus Peter Hansen, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit (BA) eröffnete die Veranstaltung als Gastgeber mit einem Grußwort. Die BA sehe sich ebenso wie die heute im Fokus stehende Initiative Betriebliche Demokratiekompetenz in der Verantwortung zu einer Verteidigung demokratischer Werte beizutragen. So sensibilisiere man auch eigene Führungskräfte zum Umgang mit Personen mit (rechts-)extremistischen Positionen im Arbeitskontext. Hansen erinnerte auch an historische Verstricklungen der Arbeitsverwaltung: Die Vorgängerorganisation der BA organisierte zu Zeiten des Nationalsozialismus Zwangsarbeit. Die Organisation ist sich dieser Verantwortung sehr bewusst.
Vier Jahre Initiative betriebliche Demokratiekompetenz: Rück- und Ausblick mit Dr. Gunilla Fincke, Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Dr. Gunilla Fincke hat die Entstehung und Förderung des Programms Betriebliche Demokratiekompetenz maßgeblich mit vorangetrieben. Das Programm wurde als eine von 89 Maßnahmen vom Kabinettausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus 2020 beschlossen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wisse um die große Herausforderung, welche die Kontaktherstellung und die Arbeit mit den Belegschaften und Betrieben für die geförderten Projektträger gewesen sei – bis heute sei die Umsetzung der Bildungsangebote mit den betrieblichen Zielgruppen kein Selbstläufer. Umso erfreulicher sei es daher, Erfolge wie die bis dato 29.000 erreichten Beschäftigten oder die 7.500 erreichten Berufsschüler*innen nennen zu können. Mit Blick auf 2025 berichtete Dr. Fincke, dass es gelungen sei, Mittel für eine einjährige Fortsetzung des Programms bereitzustellen. Angesichts der steigenden Zustimmungswerte für rechtsextreme und rassistische Einstellungen will das BMAS die Themen des Bundesprogramms auch nach 2025 weiterbearbeiten, etwa über die Aufnahme in andere Arbeitsmarktprogramme.
Abschließend blickte die Abteilungsleiterin auf die Verknüpfung des Themas Rassismusbekämpfung mit dem bestehenden Fachkräftebedarf. Angesichts demographischer Entwicklung und digitalem Wandel werde der bestehende Fachkräftebedarf noch dringlicher – und sei ohne Zuwanderung nicht zu lösen. Um im Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte bestehen zu können, sei es auch wirtschaftliche Notwendigkeit, sich als weltoffenes Land aufzustellen, und eine Arbeitswelt frei von Diskriminierung und Vorurteilen zu gestalten.
Vier Jahre Initiative betriebliche Demokratiekompetenz: Blick zurück und nach vorn mit Dr. Gerd Wiegel, Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)
Der DGB begleitete seit 2021 das Programm gemeinsam mit dem Fördermittelgeber. Dr. Gerd Wiegel, Referatsleiter im DGB für Demokratie, Migrations- und Antirassismuspolitik verwies eingangs darauf, dass Rassismus, Antisemitismus und Abwertung seit Jahren ein hohes Niveau aufwiesen, und durch die AfD zunehmend normalisiert würden. Weltpolitische Krisen schürten zudem Ängste, welche von extrem Rechten in einfache Botschaften verpackt und für die Abwertung von Minderheiten instrumentalisiert würden. Der DGB-Vertreter hob aus gewerkschaftlicher Sicht den Betrieb als zentrales Einsatzfeld für Demokratie und Vielfalt hervor: Von Beschäftigten im Betrieb gemachte Erfahrungen seien eng mit der Ausprägung (anti-) demokratischer Einstellungen verbunden: Erfahrungen am Arbeitsplatz, wie Ohnmacht durch anonyme Entscheidungen oder Solidarität unter Kolleg*innen, seien für die Ausprägung (anti-)demokratischer Haltungen entscheidend. Projekte des Programms leisteten somit Demokratiearbeit an der Basis. Gerd Wiegel verwies zudem auf die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg, hier habe das Thema „Soziale Sicherheit“ für die Wahlentscheidung die größte Rolle gespielt. Auch hier sei die Anknüpfung zum Betrieb gegeben – denn über Betrieb und Arbeitswelt werde für viele über ihre soziale Absicherung entschieden. Als Gewerkschaften habe man im Wahljahr 2024 verstärkt aufgezeigt, dass Parteien der extremen Rechten genau hier keine tragfähigen Lösungen bieten. Dennoch sei die AfD als die am stärksten favorisierte Partei unter Arbeiter*innen aus den Landtagswahlen hervorgegangen – unter dieser Gruppe hatte das Thema Zuwanderung die Wahlentscheidung bestimmt. Wie hiermit umzugehen ist, sei offen. Womöglich müsse man im Kampf gegen rechts stärker diejenigen in den Blick nehmen, die nicht bereits von rechten Parolen überzeugt seien, sondern Unterstützung brauchen, beispielsweise um rechten Sprüchen Kontra bieten zu können. Der DGB-Vertreter sprach seinen Dank an das BMAS aus, welches das Programm nochmals um ein Jahr verlängere. Mit Sorge erwähnte er, dass mit der einmaligen Verlängerung dennoch eine Verringerung der Mittel aufgrund geringerer Projektanzahl verbunden sei.
Einblicke in die Projektarbeit in Betrieb und Berufsschule
In einem interaktiven Format präsentierten exemplarisch drei geförderte Projekte des Programms ausgewählte Erkenntnisse aus ihrer Arbeit:
- Aus dem Projekt „DDD“ (ufuq.de) präsentierten Christian Kautz und Tanja Günthert durchgeführte Workshops zu Diskriminierung in Berliner Oberstufenzentren
- Aus dem Projekt „Vielfältig Brandenburg“ (Minor) berichteten Grit Fenner und Florian Seufert aus ihren durchgeführten Formaten mit Brandenburger KMU’s
- Für das Projekt „Betriebliche Demokratie stärken – Rassismus und
Rechtsextremismus im Betrieb bekämpfen“ (DGB-Bildungswerk Baden-Württemberg) präsentierte Lukas Hezel Erkenntnisse aus der Arbeit mit Belegschaften und Betriebsräten in der Automobil- und der Pflegebranche.
Eine Poster-Ausstellung gewährte Einblicke in die weiteren geförderten Projekte und bot während der Pausen Gesprächsstoff.
Impuls mit Prof. Dr. Wolfgang Schroeder, Universität Kassel
Im Auftrag des BMAS evaluierten Prof. Wolfgang Schroeder, Dr. Samuel Greef und Dr. Philipp Rhein in diesem Jahr die Umsetzung des Programms Betriebliche Demokratiekompetenz. Auf der Tagung präsentierte Professor Schroeder ausgewählte Ergebnisse. Die vollständige Evaluation wird zeitnah veröffentlicht, hier ist die Präsentation des Vortrages einsehbar.
„Rechtsextremismus und Rassismus über Betrieb und Berufsschule bekämpfen – ein erfolgreicher Ansatz?“: Podiumsdiskussion
Auf dem Panel zum Abschluss des Tages diskutierten ein Beschäftigter und eine Leitungskraft aus zwei Betrieben (Pflegebranche; Notfall- und Rettungswesen), Mika Kaiyama (Landesnetzwerk der Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt), Dr. Gunilla Fincke (BMAS) und Prof. Wolfgang Schroeder (Universität Kassel). Auch durch rege Publikumsbeteiligung kamen dabei u.a. folgende Aspekte zur Sprache:
Fokus auf Prävention; junge Menschen und Azubis als Zielgruppe
Einige Stimmen plädierten dafür, noch stärker jene in den Blick zu nehmen, die Demokratie, Vielfalt und Respekt (noch) aufgeschlossen gegenüberstehen: Etwa durch verstärkte Zusammenarbeit mit Arbeitgeber*innen, die die Programmanliegen teilen und die sich engagieren wollen, oder indem besonders junge Menschen (in der Belegschaft), und hier vor allem Auszubildende in ihren demokratischen Haltungen gestärkt werden: Etwa, um ihre Resilienz, Haltung und Argumentationsfähigkeit gegenüber rassistischen Sprüchen aus anderen Teilen der Belegschaft zu festigen.
Fachkräftebedarf als Anknüpfungspunkt?
Zunehmender Fachkräftemangel – diesem als Arbeitgeber*in zu begegnen, und mehr migrantische Beschäftigte für den Betrieb zu gewinnen, ist erfolgsversprechender, wenn der Betrieb für Rassismus und Diskriminierung sensibilisiert ist und eine offene Willkommenskultur herrscht? Hier wurde in der Diskussion auf problematische Aspekte hingewiesen, wenn die Notwendigkeit, gegen Rassismus aktiv zu werden, gegenüber Gesellschaft und Wirtschaft mit Fachkräftebedarfen begründet werde. Hier entstehe eine Logik, wonach von Rassismus betroffene Menschen – Geflüchtete, migrantische Deutsche, zugezogene Hochqualifizierte – nach Nützlichkeitskriterien eingeteilt würden.
Handlungsmacht und Rolle von Belegschaft und/ oder Führungskräften
Wieviel Einsatz braucht es von Führungskräften oder Betriebsinhaber*innen um Aktivitäten zur Demokratieförderung und gegen Rassismus im Betrieb anzugehen? Hier wurde einerseits von Beispielen berichtet, in welchen die Umsetzung von beispielsweise Bildungsangeboten aktiv durch Führungskräfte vorangetrieben wurden. Insbesondere wenn keine Freistellungsansprüche seitens der Beschäftigten bestehen, sei es essenziell die Unterstützung Arbeitgebender zu gewinnen, um Bildungsaktivitäten mit Belegschaften während der Arbeitszeit überhaupt umsetzen zu können. Aus dem Publikum hob ein Gewerkschaftsvertreter auf der anderen Seite die eigenständige Handlungsmacht von Beschäftigten hervor und berichtete von einem Fall, indem Betriebsräte die Kündigung rassistischer Führungskräfte erstritten.
Auswirkungen von Rassismus in der Belegschaft
Diskutiert wurde über verschiedene Facetten von Rassismus im Arbeitsweltkontext: Während einerseits Belegschaftsmitglieder selbst von rassistischem Verhalten und Strukturen betroffen sein können, ist ein anderer Aspekt im Unternehmenskontext die Interaktion von Belegschaften mit Kund*innen, Klient*innen und Patient*innen: Auch diese Gruppen sind potenziell betroffen von möglichen Auswirkungen rassistischer oder extrem rechter Einstellungen.
Betriebsratswahlen und ihre Bedeutung
Eine Stimme aus dem Publikum wies auf die nächsten Betriebsratswahlen (2026) hin: Diese seien eine demokratische Praxis im besten Sinne – und ermöglichten vor Ort im Betrieb allen Belegschaftsmitgliedern konkrete Mitsprache- und Veränderungsmöglichkeiten. Die Wahlen seien damit ein Mittel zur Stärkung demokratischer Werte und Kompetenzen und gerade im Kontext der aktuellen anti-demokratischen Bedrohungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung.
Schlusswort Dr. Gerd Wiegel, Deutscher Gewerkschaftsbund
Dr. Gerd Wiegel hob zum Abschuss hervor: Es sei deutlich geworden, wie engagiert die Kolleg*innen der geförderten Projekte ihre Arbeit umsetz(t)en, wie vielfältig entwickelte Ansätze und Workshops in Betrieben und Schulen seien, und wie herausfordernd die Frage des Zugangs zum Betrieb mit Angeboten der Demokratiebildung sei. Die zeitlich begrenzte Projektförderlogik trage zur Herausforderung bei: Nun, da die Projektteams Wissen, Erfahrungen und Zugänge zur Zielgruppe Betrieb erarbeitet haben, stehe in absehbarer Zeit das Ende der finanziellen Förderung im Raum. Hier sei die Politik gefordert: Die Schaffung eines Demokratiefördergesetzes könnte längerfristige Angebote und Strukturen ermöglichen.
Materialien zur Tagung:
Programm zur Abschlusstagung
Präsentation von Prof. Dr. Wolfgang Schroeder